inHard: Kannst du mir bitte zu Anfang etwas über deinen musikalischen Background erzählen? Wann hast du dein Solo-Projekt gestartet?
Christopher: Ich komme aus einer Musikerfamilie: Mein Großvater war Flötist, mein Vater war erst Oboist, dann
Dirigent, und meine Mutter ist Sängerin. Das bedeutete einerseits, dass ich bis zu meinem 12. Lebensjahr nur Klassik gehört habe und andererseits, dass ich als
Fünfjähriger bereits Blockflöte lernen musste. Ich hasse Blockflöten bis heute... Zum Glück entdeckte ich irgendwann die Wandergitarre meiner Mutter und begann zu
schrammeln. Das entwickelte sich immer weiter, bis ich in einer Band spielte, die von Genesis, Yes, Marillion, ELP und Konsorten begeistert war. Komplexe StĂĽcke also, mit
Tempo-, Rhythmus- und Tonartwechseln. Irgendwann verkrachten wir uns dann, und da stand fĂĽr mich als Haupt-Songlieferant eigentlich schon fest, dass ich in Zukunft nur
noch im Alleingang arbeiten wollte, weil man sonst wahnsinnig viel Zeit mit Kompromissen und uferlosen Diskussionen verliert.
inHard: Wie lange hast du an deinem Album „Till Party Do Us Deaf“ gearbeitet?
Christopher: Wenn man das Schreiben der Songs dazuzählt, habe ich ungefähr drei
Jahre am Album gearbeitet. Die reinen Studioaufnahmen dauerten etwas mehr als ein Jahr und begannen im Juli 2011 in Belgien. Jean-Philippe Komac und Herwig Scheck
haben mir dort bei der Produktion geholfen. Beide sind absolute Profis, die in Belgien mit fast allen namhaften KĂĽnstlern spielen...
inHard: Was kannst du mir über die Studioarbeiten zur CD erzählen? Welche Erinnerungen hast du daran?
Christopher: Die Arbeit lief nach dem fĂĽr mich vertrauten Schema ab: Ich schreibe die
Songs daheim und nehme Demos davon mit Cubase und meinem Computer auf. Diese Demos fungieren dann als Pilot-Tracks fĂĽr die eigentlichen Aufnahmen. Im Juli
2011 haben wir die Bass- und Schlagzeugparts im Jet Studio in BrĂĽssel eingespielt. Das Studio gibt es seit ĂĽber 40 Jahren, und es ist berĂĽhmt fĂĽr seine Akustik. Die war
uns für das Schlagzeug sehr wichtig. Man kann nämlich gewiss viel am Sound nachbessern, aber wenn die Aufnahmen an sich schon gut klingen, bieten sich noch viel
mehr Möglichkeiten. Die Bass- und Schlagzeugparts waren innerhalb von zwei Tagen im Kasten. Danach war vorgesehen, dass ein ebenfalls bekannter Gitarrist ein paar
Parts einspielen sollte, und zwar in seinem eigenen Studio. Das hat sich wegen Beziehungsproblemen des Produzenten Herwig ĂĽber Monate hingezogen, obwohl Tom
an sich auch sehr schnell arbeitet. Ende November 2011 war das Kapitel dann endlich abgeschlossen. Meine Gitarren- und Keyboardparts, die ich bei mir zuhause
aufgenommen hatte, waren natĂĽrlich ebenfalls am Start, und so konnten wir uns an die Gesangsparts machen. Diese wurden in einem Schlafzimmer in Antwerpen
aufgenommen, mit Mikrofonen, die sich Herwig in der Slowakei bzw. Tschechei gekauft hatte: exzellente Kopien von Neumann- und AKG-Legenden. Ende Dezember waren
meine Lead- und Backing-Parts fertig, also konnten die Frauenstimmen hinzugefĂĽgt werden. Ende Januar 2012 sollte dann der Mix beginnen, aber es kam erneut zu
Verzögerungen, diesmal weil Herwig mit zahlreichen anderen Projekten beschäftigt war. Das habe ich mir dann bis Ende März angeschaut und schließlich beschlossen,
jemand anderen mit den Mixen zu beauftragen. Die Wahl von Dan Scheck, der bei der ersten Session Toningenieur war, lag da eigentlich auf der Hand. „At Your Service (In
Zis Restaurant)” und „Cosy Black Hole In My Soul” waren zu dem Zeitpunkt zwar als Demos fertig, aber noch nicht definitiv eingespielt. Um endlich voranzukommen, habe
ich erneut das Jet Studio gebucht und auĂźer Jean-Philippe, dem Drummer, der von Anfang an dabei war, noch andere Profi-Freunde angerufen. Ende Mai 2012 haben wir
diese beiden Titel an einem Tag aufgenommen. Die Musiker der zweiten Session sind jetzt ĂĽbrigens auch meine offizielle Band fĂĽr Live-Auftritte...
inHard: Die einzelnen Songs verfĂĽgen ĂĽber eine sehr melodische, catchige
und faszinierende Atmosphäre. Der Sound klingt spannungsvoll, verspielt, majestätisch, mystisch, geheimnisvoll, progressiv, ja sogar ein Schlenker in
Richtung Reggae („At Your Service“) wird gemacht. Die instrumentale Vielfalt und der komplexe Songaufbau sind beeindruckend. Woher rührt deine
Vorliebe solche feingliedrigen Kompositionen zu entwerfen?
Christopher: Zunächst einmal vielen Dank für die vielen Adjektive! Ich mag es eben,
wenn man sich einen Song mehrmals anhören kann und immer weitere spannende Elemente entdeckt. Das war beim vorigen Album „Sheer Excellence” auch schon so.
Ich kann aber nicht sagen, dass ich bewusst mystische, verspielte usw. Aspekte einbaue, um einen Song interessant zu machen. Das passiert bei mir ganz
automatisch. Vielleicht liegt meine Vorliebe fĂĽr leicht verspielte Elemente auch an meinem musikalischen Werdegang: FrĂĽher mussten die Taktarten so komplex wie
möglich sein und die Wechsel möglichst unerwartet kommen. Damals wollte ich vor allem Musiker beeindrucken und schrieb daher „Kopfmusik”, die man intellektuell
analysieren kann. Da ich in der Klassik aber eher auf Rachmaninov als auf Bach stehe, wurde mir irgendwann klar, dass Musik vor allem aus dem Bauch kommen muss. Wenn
das Gefühl eines Songs stimmt, kann man dies noch mit technischen Feinheiten verstärken, wenn es songdienlich ist. Heutzutage möchte ich mit meinen Songs etwas
ausdrücken, das ich mich als Mensch nicht unbedingt zu sagen traue. In dieser Hinsicht sind die Songs auch eine Art Realitätsverarbeitung und Frustabbau, ohne anderen
damit direkt auf den Schlips zu treten.
inHard: Unverkennbares Trademark auf der Scheibe ist natĂĽrlich deine
Gesangsstimme, die mich auf den progressiven Stücken der CD (u.a. „One Day“) an Ray Wilson denken lässt…
Christopher: Hm, ich kenne Ray Wilson eigentlich nur dem Namen nach und muss mir
seine Sachen einmal anhören, um dann lauthals protestieren zu können, dass dieser Vergleich keinen Sinn macht… (schmunzelt). Vergleiche mit Peter Gabriel wurden auch
schon angestellt. Obwohl ich meine Stimme bzw. meine Phrasierung noch nie mit seiner verwechselt habe, empfinde ich das als Kompliment, weil er ja auch groĂźen Wert
auf gut geschmiedete Songs legt. - Ich selbst höre mir ganz anders zu: Ich analysiere die Phrasierung, die Tonfestigkeit und solche Sachen und achte darauf, ob der Text mit
dem richtigen Gefühl rübergebracht wird. Na wenigstens habe ich ja schon einmal ein „Trademark” – freu!
inHard: Hast du bestimmte Songs auf der Platte, die du besonders magst, einer
meiner Favoriten ist das rockige „Talk Too Much“ mit toller Hammond-Passage…
Christopher: Also vom rockigen Groove her finde ich „One Day” einen Kracher, der
auch live sehr gut funktioniert und den man unendlich verlängern kann, wenn das Publikum mitzieht. Bei „Some Things” bin ich stolz auf den Rap-ähnlichen Text, wo eine
Menge Informationen auf den Zuhörer niederprasseln. Das Queen-ähnliche Outtro macht mir immer noch Gänsehaut. Bei „Tomorrow” bekomme ich nach wie vor
Herzklopfen, wenn der Refrain losbrät. Und „Cosy Black Hole In My Soul” ist meiner Ansicht nach ein Hit, der sehr elegant am schnöden Kommerz vorbeischrammt und trotzdem ein Ohrwurm ist...
Rainer Guérich CD: Till Party Do Us Deaf (Finest Noise/Radar)
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